Kein Grund zur Enthaltsamkeit

Nach einem Herzinfarkt ändert sich das Leben vieler Patienten grundsätzlich. Schlechte Angewohnheiten wie wenig Bewegung, Rauchen oder eine ungesunde Ernährung werden überdacht. In vielen Fällen führt die Erkenntnis, eine ernste Erkrankung überlebt zu haben, zu einem neuen, oft wesentlich gesünderen Lebensstil. „Ich finde es wichtig, dass jeder Patient das Bewusstsein entwickelt, potenzielle Gefahren auszuschließen“, sagt der Kardiologe Dr. Christian Hegeler-Molkewehrum. Häufig betrifft dies auch den privatesten aller Bereiche – das Liebesleben. Doch beim Thema Sex sind Bedenken weitestgehend unbegründet.

Patienten leiden besonders in den ersten Monaten nach einem Infarkt unter Ängsten und Hemmungen. „Dies ist absolut normal, da ein solches Ereignis das Vertrauen in den eigenen Körper in den Grundfesten erschüttert“, weiß Hegeler-Molkewehrum aus seiner langjährigen Praxis. „Patienten lernen meist nur langsam, sich wieder Belastungen zuzutrauen. Und das wirkt sich oft auch auf das Liebesleben aus.“ Dabei klingt körperliche Belastung eigentlich zu negativ für die schönste Nebensache der Welt – aus kardiologischer Sicht ist es aber nichts anderes als das. Und dies ist eine gute Nachricht.

Gelassenheit und Vertrauen

In der Regel lässt sich das Herz bereits kurz nach einem Infarkt wieder herkömmlich belasten. „Dieser Zeitraum ist abhängig davon, ob eine Operation stattfand oder nicht“, sagt Hegeler-Molkewehrum. „Wir raten unseren Patienten zu rascher körperliche Aktivität nach dem Ereignis, um psychische Nachwirkungen zu vermeiden.“ Sex gehört natürlich ebenfalls dazu und ist vergleichbar mit einem ausgedehnten Spaziergang oder einer längeren Radtour. „Selbstverständlich hören Patienten mehr als vorher in sich hinein und spüren, wenn der Puls steigt und das Herz schneller schlägt. Bis zu einem gewissen Grad ist dies normal.“ Erst bei Herzrasen, Atemnot oder Brustschmerzen ist sofortige ärztliche Hilfe vonnöten. „Ich kann Patienten beruhigen, denn das erneute Auftreten von Infarkten während sexueller Aktivität ist sehr gering. Vorsicht ist allerdings geboten, wenn potenzfördernde Mittel eingenommen werden. Wenn die Patienten Nitratmedikamente nehmen, sind Viagra oder ähnliches Tabu.

Angst vor Viagra

Das potenzfördernde Mittel wurde zuerst als Herzmedikament entwickelt und getestet, da es zu einer Gruppe von Stoffen gehört, welche die Arterien erweitern – auch die des Herzens, die sogenannten Dihydropyridinen. Insofern hat Viagra für Herzpatienten eher positive Wirkungen, denn es senkt den Blutdruck und erweitert die Kranzgefäße um jeweils zehn Prozent. „Kein Herzpatient braucht Angst vor Viagra zu haben“, betont Hegeler-Molkewehrum.

Offenheit zählt

Ausgiebige und vertrauensvolle Arzt-Patienten-Gespräche sind das A und O nach einer überstandenen Herzattacke. „Ich freue mich, wenn Patienten mit ihren Sorgen offen umgehen, denn nur so funktioniert es, Ängsten und potenziellen Risiken vorzubeugen“, unterstreicht der Kardiologe. „Paaren rate ich immer dazu, die gleiche Offenheit an den Tag zu legen und sich in Ruhe mit dem Thema zu beschäftigen. Gelassenheit ist die beste Herangehensweise.“